Die rheinische Martinstradition wird am Donnerstag, 25. Oktober, als immaterielles Kulturerbe des Landes Nordrhein-Westfalen offiziell anerkannt. Für die Initiatoren, die beiden Martinsfreunde René Bongartz aus Brüggen und Jeya Caniceus aus Kempen, ist die Anerkennung ein erster Schritt in ihrem Bemühen, den rheinischen Bräuchen rund um den Heiligen mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Denn ab Donnerstag dürfen die Vereine damit für St. Martin und das Brauchtum werben.
Im vergangenen Jahr riefen Bongartz und Caniceus ihre Initiative ins Leben, richteten eine Internetseite dazu ein, nahmen Kontakt zu Martinsvereinen, -komitees und -ausschüssen auf, luden Vertreter der Vereine aus dem ganzen Rheinland ins heimische Brüggen ein und sammelten viele Informationen darüber, wo St. Martin wie gefeiert wird. Dabei kam beispielsweise heraus, dass der Heilige nicht überall als römischer Soldat auftritt. Rund um Kevelaer, aber auch im Wegberger Raum trägt St. Martin ein Bischofsgewand.
INFO
Laternen, Lieder und Mantel gehören dazu
Martinstradition Zur rheinischen Martinstradition gehören Laternenumzug, Martinslieder und -feuer, die Darstellung der Mantelszene, das Verteilen von Süßigkeiten an Kinder und die Weitergabe der Botschaft der Nächstenliebe.
Kontakt
www.martinstradition.de, Telefon 02157 1265602.
Klaus Kaiser, Parlamentarischer Staatssekretär im NRW-Ministerium für Kultur und Wissenschaften, wird die Urkunde am Donnerstag im Haus der Stiftungen in Düsseldorf überreichen – und zwar an einen richtigen St. Martin: Andreas Harmes, Martinsdarsteller in Viersen-Bockert, begleitet Bongartz und Caniceus zum Empfang in die Landeshauptstadt, und zwar im Martinskostüm. Ebenso dabei ist Rainer Hamm, Vorsitzender des St.-Martin-Vereins in Kempen, der alljährlich die beiden großen Züge in der Thomasstadt organisiert.
Die Initiatoren freuen sich sehr über die Anerkennung: „Sie ist für uns Auftrag, die Martinstradition zu bewahren und fortzuführen“, sagt Bongartz, der früher den „armen Mann“ in Viersen-Bockert spielte und sich heute in seiner Wahlheimat in Brüggen für das Brauchtum rund um den Heiligen einsetzt. Wie sein Mitstreiter Caniceus wolle er „Lobbyarbeit im positiven Sinne für St. Martin betreiben“, erklärt Bongartz. Seine Hoffnung: dass auf die Auszeichnung auf Landesebene die auf Bundesebene folgt und der Prozess schließlich mit der weltweiten Anerkennung durch die Unesco endet. Dann wäre die rheinische Martinstradition „immaterielles Kulturerbe der Menschheit“. „Diese Ebene ist die höchste, die man erreichen kann“, sagt Bongartz. Anfangs habe er selbst kaum zu hoffen gewagt, dass man mit der Martinstradition mal diese Stufe erreichen werde, „doch mittlerweile erscheint mir diese Ebene nicht mehr ganz so weit weg zu sein“.
Mit der Urkundenverleihung am Donnerstag können sich Bongartz und seine Mitstreiter nicht zurücklehnen: Die Arbeit geht jetzt erst richtig los. Sind die Martinszüge im Rheinland rund um den Martinstag am 11. November vorbei, wollen die Initiatoren Kontakt zu den Vereinen aufnehmen, um einen Dachverband ins Leben zu rufen. Denn auch, wenn die Martinstradition seit 150 Jahren im Rheinland existiert, gibt es keinen den Vereinen und Komitees übergeordneten Dachverband. Den aber, so betont Bongartz, brauche man, wenn man eine Kulturerbe-Anerkennung auf Bundesebene anstrebe, „da reicht eine private Initiative nicht mehr“.
Unter dem Namen „Kulturerbe St. Martin“ soll der Dachverband die Interessen der Martinsvereine vertreten und auch den Kontakt zu Martinsvereinen im Ausland pflegen, denn der Heilige Martin von Tours wird in vielen Ländern Europas verehrt. Derzeit stehen die Initiatoren in Kontakt mit 122 Martinsvereinen, -komitees und -ausschüssen, 350 bis 400 Vereine dürften Bongartz zufolge die rheinische Martinstradition pflegen und sich entsprechend dem Verband anschließen wollen.
Der Dachverband könnte auch eine Grundsatz-Diskussion darüber einleiten, wie Martinszüge künftig organisiert werden sollen. Vielerorts gibt es nicht einen oder zwei Züge, in denen die Schulkinder mit ihren Fackeln dem vorausreitenden Martin folgen, sondern darüber hinaus viele kleinere Züge, die von Kindergärten organisiert werden. Dadurch zerreiße der Generationenvertrag, auf dem die Martinstradition beruhe, erklärt Bongartz. Denn um die Martinstüten der Kinder zu finanzieren, sammelten Martinsvereine im Dorf Spenden. Durch die Kindergartenzüge komme es immer häufiger vor, dass Erwachsene nur dann spendeten, wenn die eigenen Kinder im Kindergartenalter seien, man also eine Tüte bekomme. „Sind die Kinder größer, geben die Leute oft nichts mehr“, sagt Bongartz. Der Generationenvertrag werde damit aufgelöst. Besser sei es, wenn sich auch die Kindergärten in die Traditionszüge einfügten.